Digitale Materialität

Prof. Dr. Barbara Schellewald

Das Projekt Digitale Materialität untersucht, wie sich neue Verfahren zur Beschreibung der Reflexion von Licht auf Oberflächen für die kunsthistorische Forschung eignen. Diese Verfahren werden so angepasst, dass komplex gestaltete Kunstwerke – im Besonderen frühe Grafiken und mittelalterliche Mosaiken – in digitaler Form dargestellt werden können, damit sie für die wissenschaftliche Auswertung nutzbar sind. Dazu werden spezielle Aufnahmetechniken eingesetzt sowie für die Kunstwerke geeignete, analytische Modelle entwickelt. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen dem Digital Humanities Lab (Dr. Peter Fornaro) und dem Seminar für Kunstgeschichte (Prof. Barbara Schellewald). Die Arbeit wird vom Schweizerischen Nationalfond (SNF) gefördert.
Die Materialität von Kunstwerken und daraus resultierende Effekte, wie der für viele Objekte charakteristische Glanz, lassen sich mit konventionellen Fotografien nicht angemessen abbilden. Bislang sind dadurch vielversprechende Forschungswege unzugänglich.
In diesem Projekt werden deshalb zwei kunsthistorisch relevante Werkgruppen im Hinblick auf ihre Transformierbarkeit in den digitalen Raum untersucht. In einem ersten Schritt werden druckgrafische Experimente des 15. Jahrhunderts im Fokus der Untersuchungen stehen. In einem weiteren Schritt werden Mosaiken und deren Reflexionsverhalten in der digitalen Domäne abgebildet.
Die Frühzeit des Bilddrucks zeichnet sich durch zahlreiche herstellungstechnische Experimente aus. Neben dem Kupferstich und Holzschnitt, die sich langfristig durchsetzten, wurden unter anderem Teig-, Flitter- und Samtdrucke entwickelt, die vor allem darauf abzielten, die edlen Oberflächeneigenschaften kostbarer kunsthandwerklich gefertigter Materialien zu reproduzieren. Dazu gehören zum Beispiel Brokate, also golddurchwirkte Seidenstoffe.
Anders als in der älteren Forschung postuliert, waren solche Drucke aber nicht ausschliesslich Surrogate. Sie hatten einen wiedererkennbaren Charakter, der zwischen Textilien und Metallarbeiten changiert. Ausserdem konnten solche Drucke für eigenständige Zwecke, vor allem zur Ausstattung von Büchern verwendet werden, wo andere Werkgruppen nicht einsetzbar waren.
Fragen zur Wahrnehmung und zum Gebrauch der frühen Zeugnisse experimenteller Druckverfahren sind bislang nur selten gestellt worden. Im eng verwandten Bereich der Inkunabelforschung deutet sich jedoch ein Wandel an, bei dem Bücher als materielle Objekte untersucht werden.Die aus diesem Wandel ableitbaren Einsichten werden in diesem Teilprojekt zum Einsatz kommen, um im Arbeitsfeld "Digitale Materialität" einen Dialog zwischen natur- und geisteswissenschaftlicher Forschung zu fördern.
Das Mosaik ist ein dezidiert dynamisches Medium. Erst im und durch das Licht wird die Oberfläche der tesserae belebt. Die Diskrepanz zwischen einem dem Medium inhärenten Prinzip eines andauernden Wandels im Licht und seiner Stillstellung in konventionellen Reproduktionen ist erst in jüngster Zeit thematisiert worden. Ihr wird sich dieses Teilprojekt widmen.
Grundlegend für die enge Verbindung dieses Mediums zum Licht ist die materielle Beschaffenheit der tesserae aus Glas oder Stein (Edelsteinen), aus denen sich das Bild konstituiert. Hinzu tritt eine unregelmässige, schräge Setzung der tesserae in das Bett.Insbesondere Silber- und Goldtesserae sind gezielt und bisweilen üppig integriert, um den Reflektionsgrad der Oberfläche zu optimieren. Der dem Medium eigene Glanz basiert zwar auf dieser technischen Ausgangssituation, wird jedoch in Gänze erst durch eine gezielte Choreographie natürlicher und artifizieller Lichtquellen gewonnen.
Während in der frühen Forschung das verwendete Material wie auch die Setztechniken nur am Rande Aufmerksamkeit fand, konnten vor allem im Zuge einer kritischen Revision der Restaurierungstechniken neue Beobachtungen gewonnen werden. Erkenntnisse über die Produktion und den Einsatz unterschiedlichster Materialien sowie die Diagnose technischer Befunde sind seit den 1990er Jahren neben die Studien von Bildprogrammen, Ikonographie etc. getreten. Diesen neuen Forschungsbestrebungen folgt das Basler Projekt, indem es adäquate Verfahren zur digitalen Wiedergabe der beschriebenen Phänomene erprobt. 

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